The Libertines – Arena, Berlin

 

 

 

„Oh, what became of the likely lads?

What became of the dreams we had?

Oh, what became of forever?

Oh, what became of forever?

Oh, we’ll never know…“

 

 

 

 

Anstehen? Fehlanzeige. Eine träge Masse schmuddeliger Indie-Typen zischt die ersten Bierchen vor der Arena in Berlin und denkt gar nicht daran sich dem gesellschaftlichen Druck des in Reih und Glied Stehens zu beugen. Also Gunst der Stunde nutzen, schnell was zu Trinken an der Bar organisieren und ab in die 3. Reihe. Steht sich bequem hier. Man sieht gut, viel Platz, Sound dürfte gut kommen. Die Erinnerung an das Dirty Pretty Things Konzert vor fast 10 Jahren ist bereits verblasst. Beim Babyshambles Konzert neulich konnte man ja auch super vorne links stehen. Jaja. Die erste Vorband tritt auf. Bestechend auffällig durch einen an den Sänger von Bloc Party erinnernden Frontmann, einen typisch schottischen Drummer mit rotem Haar, einen kopfnickenden Bassisten und einen sehr milchbärtig wirkenden Gitarristen – eine ulkige Truppe. Doch die Musik nimmt gut mit. Die Schotten von BrownBear laden zum Belächeln ein, zeigen jedoch ein kleines Paket an Können. Für eine Vor-Vorband also ansehnlich. A propos Belächeln: was danach kommt, lässt einen kurz zweifeln. Die eigentliche Vorband Circa Waves wirkt wie ein Schulausflug. Doch nicht so vorschnell geurteilt! Diese niedlich wirkende Truppe mit den Wuschelfrisuren schrammeln erstklassigen Indie-Sound in die Halle. Natürlich ist das nicht das Höchste der musikalischen Ergüsse, aber schöne, einfache und ursprüngliche Musik, mit der auch die Libertines selbst in der Garage gestartet haben könnten. Die ersten Ellbogen bekommt man auch schon ab. Aber mehr vom Drängeln, als vom Tanzen.

Junge Indie-Girls quetschen sich rauchend und betont gelangweilt umherblickend nach vorn, nur um im nächsten Moment wie Flummis durch die Gegend geworfen zu werden. Die Herren der Stunde haben die Bühne betreten und die Stimmung schlägt massiv von jetzt auf gleich um. Eine Welle betrunkener, gröhlender Briten schwemmt von hinten heran und prescht zum Pogo in die ersten Reihen. Pete Doherty sieht entgegen aller Erwartung nahezu gesund aus und Carl Barat konnte die Zeit überhaupt nichts anhaben. Die beiden stehen da, wie sie es immer taten: in wundervoller Harmonie, die Lippen eng ans Mikro gepresst, sich freundschaftlich liebevolle Blicke zuwerfend. Allein von der Musik bekomme ich nicht wirklich etwas mit. Der Sound ist grottenschlecht und ich kämpfe ums nackte Überleben. Nach „Campaign Of Hate“ oder vielleicht auch „Vertigo“ (wer kann das schon sagen?) beschließe ich meine Haut zu retten und an den Seitenrand zu flüchten. Nass von Bier und fremdem Schweiß feiere ich den ersten musikalischen Knaller: „Time For Heros“. Die Energie in der Halle ist atemberaubend, keiner steht oder schweigt. Die Bühne brennt. Energetisch rocken Pete & Carl von einer Seite zur anderen, stampfen mit den Füßen oder lallen im perfekten London Mumble ihre Lyrics in die Runde. Die Setlist ist eine tolle Mischung der größten Hits und kleiner Spielereien, wie einer Acoustic Version von „Ballad Of Grimaldi“, bei der sich Pete an die Seite setzt und beinahe verliebt seinem Kumpel huldigt, der nun ganz allein auf der Bühne steht. Es rührt einen fast zu Tränen diese Verbundenheit nach all den Jahren der Entzweitheit wieder miterleben zu dürfen. Wer hätte das gedacht? Bis zum Schluss hatte ich befürchtet nur eine laue Neuauflage, einen verzweifelten Versuch die alten Zeiten zu beleben mit ansehen zu müssen. Doch weit gefehlt. Auch, wenn das Pärchen in die Jahre gekommen ist, die Haare grauer, die Bäuche dicker werden – es ist und bleibt DIE Männerfreundschaft der Musikszene, the boys in the band. Die uptempo-Nummer „Can’t Stand Me Now“ bringt einem in gleichem Maße die wohlige Nostalgie zurück, wie das emotional ruhige „Albion“. So unterschiedlich wie die beiden Hauptprotagonisten selbst und dennoch das perfekte Abbild ihres gemeinsamen künstlerischen Schaffens. Und das Schönste daran: es scheint kein Ende nehmen wollen. Ganze 25 Songs haben die Libertines im Gepäck und mit jedem Gitarrenschlag wird ein weiteres Lieblingslied angestimmt, das das Publikum in den Wahnsinn treibt. Ein Blick in die blassen Gesichter zeigt deutlich, hier ist sowohl auf, als auch vor der Bühne nicht ohne Alkohol und die ein oder andere illegale Substanz auszukommen. Rock’n’Roll eben.

„The Good Old Days“ entschädigen mich aber für jeden Rempler, jeden blauen Fleck und jeden Tritt auf meinen schon tauben Fuß. Das Lied, welches mein erstes war. Ist immer etwas Besonderes oder? Da können Welthits folgen, das erste Lied einer Band, die man unter seine Top 5 zählt, ist immer noch etwas mehr Gänsehaut, etwas mehr Herzklopfen, ein bisschen lauter mitgröhlen. „Up The Bracket“ und „I Get Along“ schmeißen uns schlussendlich atemlos und schmerzlich glücklich aus der Halle. Nur ein Wermuttropfen an diesem Abend muss verkraftet werden – mein heiß ersehntes „What A Waster“ wurde leider von der Setlist gestrichen. Schade, aber verkraftbar bei diesem eventuell nie wieder so vorkommenden Großerlebnis. Stellt sich nur die Frage „what will become of the likely lads“? Jeder sollte hoffen, dass weder Drogen, noch Streitigkeiten diese Band je wieder trennen können. Das ungeheure Potential, das Pete & Carl vereinen ist unschlagbar und darf der Welt nicht verloren gehen. Ob es nun die großartigen Texte und sinnlichen Melodien eines Petes oder die starken Rhythmen und die glühende Bühnenpräsenz eines Carls sind. Sollte es jemals anders kommen, darf schon mal die Neuauflage von „American Pie“ geprobt werden, denn dies wäre wirklich der Tag, an dem die Musik stirbt. Hoffen wir das Beste! Cheers!

M.F.

Setlist:

  1.  WE’LL MEET AGAIN
  2.  THE DELANEY (LUST OF THE LIBERTINE INTRO)
  3.  CAMPAIGN OF HATE
  4.  VERTIGO
  5.  TIME FOR HEROES
  6.  HORRORSHOW
  7.  BEGGING
  8.  THE HA HA WALL
  9.  MUSIC WHEN THE LIGHTS GO OUT
  10.  WHAT KATIE DID
  11.  THE BALLAD OF GRIMALDI (CARL ACOUSTIC)
  12.  THE BOY LOOKED AT JOHNNY
  13.  BOYS IN THE BAND
  14.  CAN’T STAND ME NOW
  15.  LAST POST ON THE BUGLE
  16.  THE WARNING (THE BANDITS COVER)
  17.  ALBINO (BABYSHAMBLES COVER)
  18.  THE SAGA
  19.  DEATH ON THE STAIRS
  20.  DON’T LOOK BACK INTO THE SUN
  21.  TELL THE KING
  22.  THE GOOD OLD DAYS
  23.  WHAT BECAME OF THE LIKELY LADS
  24.  UP THE BRACKET
  25.  I GET ALONG

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