Hurts – Lido, Berlin

 

 

 

„Swing with these sorrows

and try delusion for a while

it’s such a beautiful lie.

You’ve got to lose inhabition

romance your ego for a while

come on give it a try…“

 

 

 

Herbst, Winter, Frühling. Die Jahreszeiten fliegen, während man sich selbst durch den Alltagsdschungel gräbt und vor lauter Arbeit, Terminen und Verantwortung viel zu selten Zeit zum Durchatmen findet. Und plötzlich stehen wir in Berlin.

Eingepfercht zwischen den anderen wartenden Besuchern, die entweder Glück beim Gewinnspiel hatten oder ein Ticket aus dem kleinen Kontingent ergattern konnten, stehen wir und jammern auf Grund von Hunger, Durst oder anderen Dingen, die man derzeit nicht verrichten kann. Wir müssen völlig irre sein, diese Mammut-Tour auf uns zu nehmen, uns die Beine in den Bauch zu stehen, anstatt wenigstens einmal pünktlich ins Bett zu kommen, um die tellergroßen Augenringe unter unseren Augen loszuwerden. Als der Einlass beginnt, bleibt keine Zeit mehr für solche Gedanken, sondern nun besteht die Herausforderung darin, einen Platz mit guter Sicht auf die Bühne zu bekommen. Und das ist wirklich nicht so leicht. Die -teilweise von sehr weit- angereisten Damen und (wenigen) Herren kämpfen um jeden Zentimeter, der sie näher nach vorne bringt. Anstrengend. A propos, wir versuchen uns, die Jacken auszuziehen, ohne unser Umfeld mit den Ellenbogen auszuknocken und letzten Endes sind wir einfach nur froh, als nach einer weiteren Stunde Warterei endlich die Lichter im Lido ausgehen und das große Geschrei beginnt.

Die Band positioniert sich und zwei Backgroundsängerinnen starten mit dem Intro. Sogleich wird die Luft von schwerer Melancholie und souligen Stimmen durchbohrt und ein regelrechter Sog entführt uns in die Welt von Hurts. Eine Welt voller Gefühle, Herzschmerz, Leidenschaft und Pathos. Als die zwei Hauptverantwortlichen zur Band stoßen, bricht erneuter Jubel aus. Die aktuelle Single beginnt, einen Moment lang bin ich irritiert ob der Textsicherheit, doch dann werde ich mit der hüpfenden Masse mitgerissen und tja, von dem Moment an, mag ich ‚Some Kind Of Heaven‘; live holt er uns Beide ab.

Als nächstes wummern altbekannte Klänge aus den Boxen. Wir werden mit ‚Miracle‘ und dem so wundervoll schnulzigen ‚Somebody To Die For‘ zum letzten Konzert der Exile Tour zurückversetzt. Verzückt starren hunderte Augenpaare auf den sich gut verausgabenden Theo, der natürlich all seinen Charme einsetzt und die Unmenge an Damen im Publikum betört. Das lässig bis tief in die Brust aufgeknöpfte weiße Hemd und dutzende von weißen und roten Nelken, die er in regelmäßigen Abständen von der Bühne wirft, sind gut kalkuliertes Beiwerk. Natürlich löst jeder Wurf ein hysterisches Gekreische und Gerangel um die schon halb zerpflückten Stängel aus, weshalb wir immer wieder aus unserer Andacht gerissen werden. Nur die zwischendurch eingestreuten neuen Songs bringen etwas Ruhe in die Wogen, obgleich besonders in den ersten Reihen auch hier eine überraschende Textsicherheit vorherrscht. Ich für meinen Teil starre nur möglichst gebannt zur Bühne und versuche einen Eindruck vom eingeschlagenen musikalischen Stil der zwei Briten zu bekommen. Und ich muss feststellen: Zunächst vom bereits erwähnten Eröffnungssong auf Spotify abgeschreckt, liefern die Stücke live eine beeindruckende Qualität. Da gibt es keine halbherzigen  Sachen, nichts Unrundes oder Nerviges. Es ist etwas euphorischer geworden, etwas tanzbarer. Aber nach all der jahrelangen Melancholie kann man das wohl niemandem verdenken. Und es ergibt besonders im Mix mit alten Liedern ein gewisses Gleichgewicht.

Einer der Neuvorstellungen nimmt mich ganz besonders ein: ‚Rolling Stone‘. Sie beginnt schon bei dem gesanglich hohen Einstieg von Theo, der uns nach Verona entführt und uns von Juliet berichtet, die voller Verzweiflung wirklich alles tun würde, um ihrer Familie zu entkommen bzw. um für immer mit Romeo zusammen sein zu können. Die Strophen sind so zart vorgetragen, dass der Ausbruch im Refrain umso dramatischer wirkt. Dass Hurts diese Art des Songaufbaus beherrschen, haben sie schon eindrucksvoll bei ‚The Road‘ (vom Album ‚Exile‘) bewiesen. Mich holt der Song direkt ab und ich weiß schon jetzt, dass er sich in meinem Kopf als hartnäckiger Ohrwurm einnisten wird. Da ich ja nun vollends im Bann von Hurts gefangen bin, wickeln sie mich auch gleich mit ‚Evelyn‘ weiter um den Finger. Oh, diese Musik, was für Emotionen. Ich schwelge und singe und träume und natürlich himmele ich die beiden Protagonisten vor mir auch an.

Schon wieder wird ein neues Lied vorgestellt, es nennt sich ‚Nothing Will Be Bigger Than Us‘ und die Zusammenarbeit mit Calvin Harris hat merklich ihre Spuren hinterlassen. Ein tranciger, tanzbarer Refrain, wie er dem Label-Kollegen nicht besser hätte gelingen können. Hurts und Trance, klingt gewöhnungsbedürftig und ich weiß auch noch nicht, wie ich diesen Song als Albumtrack einstufen werde, aber live kriegt er mich. Die letzte Deutschlandpremiere an diesem Abend heißt ‚Weight Of The World‘. Er hat noch den am ehesten klassischen Hurts-Sound, wie man ihn vom Debut ‚Happiness‘ kennt. Nicht vergessen darf ich den Bass, der besonders bei der letzt genannten Nummer dröhnt und zwar so laut, dass wir den Rest des Abends fast taub auf der rechten Seite sind. Nun ja, bei dem Ansturm während des Einlasses, hatten wir kaum eine Wahl, uns woanders hinzustellen als direkt vor den rechten Boxenturm.
Mir bleibt besonders die Akustikversion des – nennen wir es – Klassikers ‚Blood, Tears & Gold‘ im Gedächtnis.

Theo und Adam zusammen ganz vorn am Bühnenrand, ein schallender Chor vor ihnen, strahlende Gesichter auf beiden Seiten, Gänsehautatmosphäre pur. Das von mir heiß ersehnte ‚Illuminated‘ wurde diesmal leider nur spärlich beleuchtet. Während normalerweise hunderte Handylampen den Saal zum Glühen bringen und wir uns in andere Sphären entführt fühlen, wurde im Lido eher ein kleines Nachtlicht angezündet. Immer noch wunderschön, aber die überwältigende Energie blieb leider nur in unserer Erinnerung und unseren Herzen spürbar. Nach der obligatorischen Pseudo-Verabschiedung durften wir noch einmal aus vollen Lungen ‚Stay‘ in die Nacht schmettern und dann entließ man uns leicht berauscht in das für Juni untypisch nasskalte Berlin. Eine viel zu kurze Stunde, nach der man sehnsüchtig auf die kommende Tour im Oktober wartet und dennoch hinterlässt der Abend bei mir auch einen etwas fahlen Beigeschmack. Ein klitzekleines Bisschen zu inszeniert wirkte das Ganze schon und der Großteil des Gospelchors musste wahrscheinlich aus logistischen Gründen in London verbleiben. Die Stimmung war während des Konzerts wunderbar, jedoch außerhalb leider weniger und die mittelmäßigen Plätze tun ihr Übriges. Der ganz große Flash bleibt damit dieses Mal, zumindest bei mir, aus. Aber wenn sie es einmal geschafft haben mich in ihren Bann zu ziehen, so werden sie das auch wieder tun und darauf freue ich mich jetzt bereits.

M.F. & S.K.

Setlist:

  1.  SURRENDER
  2.  SOME KIND OF HEAVEN
  3.  MIRACLE
  4.  SOMEBODY TO DIE FOR
  5.  ROLLING STONE
  6.  EVELYN
  7.  NOTHING WILL BE BIGGER THAN US
  8.  WEIGHT OF THE WORLD
  9.  BLOOD, TEARS & GOLD
  10.  WONDERFUL LIFE
  11.  SUNDAY
  12.  BETTER THAN LOVE
  13.  ILLUMINATED
  14.  STAY

 

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