Bastille – Wild World

 

 

 

„Oh my god, my god

I can’t quite believe my ears…“

 

 

 

 

 

Da ist es nun endlich, das heißersehnte zweite Album der britischen Pop-Band Bastille. Ich durfte schon vorab reinschnuppern und kann es kaum erwarten euch ungefragt mit meiner Meinung zu überschütten. Im Gegensatz zu vielen kritischen Stimmen der letzten Zeit, habe ich LP2 zwar mit Spannung erwartet, aber mir war es tatsächlich lieber, dass die vier Briten sich mit ihrer zweiten Platte genug Zeit lassen. Der Grund dafür ist so banal, wie plausibel: gut Ding will Weile haben. Ich höre seit Jahren liebend gern ihre Songs und Sänger/Songwriter Dan Smith zählt für mich schlichtweg zur Gruppe der Ausnahmetalente unserer jüngsten Musikgeschichte. Nicht, weil er so besonders tiefgründig oder experimentell ist, sondern weil er es versteht richtig gute Popmusik zu machen. Man hört seinen Stil aus jedem Song heraus, er wirkt auf großer Festivalbühne ebenso wie tief unten in den Katakomben von Paris, er reißt mit oder berührt und mixt sich ganz ohne Scheu wild durch die verschiedensten Musikrichtungen. Deshalb erwarte ich auch eine Menge von dieser Scheibe und habe gleichzeitig doch Bange enttäuscht zu werden. Zwar kenne ich einen Teil der Lieder schon von Live-Auftritten oder als Single-Auskopplung, aber es könnten immerhin auch die einzigen Highlights sein. Doch Stück für Stück. Die aufgestaute Nachmittagshitze pumpt durch mein Fenster und obwohl es kein angenehmes Schreiben ist, passt es dennoch perfekt zu „Wild World“. Ja, es ist bereits September und doch ist es für mich ein Sommeralbum. Die Bässe wummern bestens zu strahlendem Sonnenschein im Auto mit heruntergelassenen Scheiben und es muss laut gehört werden, einfach wirklich richtig laut. Schon der Opener „Good Grief“, welcher auch die erste Single stellt, versetzt einen trotz des melancholischen Textes in Partystimmung. Eingängig drischt der metallische Rhythmus und sogar das fordernde Klatschen ist bereits inkludiert. Ein gut gewählter Ohrwurm, der Lust auf mehr macht. Polit- und sozialkritisch wird es bei „The Currents“. Es gibt Vertreter meiner Zunft, die die Meinung vertreten, so etwas hätte in der Musik nichts zu suchen. Dem kann ich nur vehement widersprechen. Es gibt keine passendere Plattform, um junge Menschen zu sensibilisieren und gerade das ist in Zeiten wie diesen immens wichtig. Dennoch bleiben Bastille auch an dieser Stelle noch verhalten und preschen nicht zu forsch voran. Ihre Meinung wird niemandem aufgedrückt. Lediglich die persönliche Ohnmacht angesichts der aktuellen Ereignisse wird verarbeitet und auch, wenn es nicht mein Lieblingssong wird, kommt er besonders live doch ziemlich gut.

Mit „An Act Of Kindness“ wird es ein wenig ruhiger und zu Anfang erinnert dieser Song tatsächlich ein wenig an Dan Smith’s Solo-Stücke, bis auch hier der unvergleichliche Bastille-Sound überschwappt. Die besungene Schuld trieft durch jede einzelne Note und steht damit im starken Kontrast zu den bisher bewusst gegensätzlich gehaltenen Stimmungsmachern. „Warmth“ startet mit einem Filmzitat, wie es konzeptionell bei dieser Platte des Öfteren der Fall ist. So erotisch kennt man die Jungs jedoch bisher überhaupt nicht. Der Song über das Ausblenden der Kälte, der Grausamkeit der Welt, in einem Moment der Leidenschaft, knüpft abermals an die Gegensätzlichkeit zwischen Lyrics und akustischer Umsetzung an. Der nachdenkliche und selbstanalytische Text hebt sich stark von der lockeren Elektromelodie ab und musikalisch erinnert das Stück streckenweise an 80er-Pop-Revival à la HAIM und The Killers. Was nicht allzu weit entfernt liegen mag, bedenkt man Herrn Smith’s persönliche Präferenzen in diese Richtung. Mit „Glory“ treffen sie meinen Geschmack bisher am besten. Dieser Song hat einfach wieder alles. Streicher verleihen ihm Zartheit gepaart mit grenzenloser Weite, der Rhythmus entführt einen in sommernächtliche Straßen und auch Sänger Dan‘s Stimme spielt in all ihren Reichweiten mal ruhig, mal mitreißend, mal sanft, mal kratzig. Lediglich die höhere Oktave lässt eine gewisse Anstrengung erkennen und ist vielleicht etwas zu ambitioniert gewählt. „Power“ ernenne ich hiermit zu meinem persönlichen „Get Home“ des zweiten Albums. Die Ansätze sind großartig und man ist schon fast euphorisch, doch dann mindert der Refrain das Hörvergnügen. Ich kann noch nicht einmal genau sagen, was mich daran stört, ob ich ihn zu stumpf oder zu flach finde. Es hätte einfach mehr kommen können.

Die Mitte des Albums bildet nun das wohl herausstechendste Lied „Two Evils“, das mit seinem Kill-Bill-Charme nach Nancy Sinatra’s „My Baby Shot Me Down“ einen komplett anderen Weg einschlägt. Ich für meinen Teil liebe diesen Song für seine Einfachheit, seine Ruhe und die Wehmut in jedem Klang. Es folgt mit „Send Them Off!“, der neuen UK Single, mein derzeitiger Favorit, den ich seit Erscheinen auf Dauerschleife laufen habe. Die gewaltige Big Band Untermalung macht ihn besonders energetisch und auch der Refrain frisst sich ganz langsam aber stetig in jede noch so kleine Hirnwindung. Und schon ballert mir „Lethargy“ einen peppigen Beat um die Ohren. Ich fühle mich dazu verleitet recht un-lethargisch mit dem Fuß zu wippen und eventuell etwas geisteskrank wirkend zur eingängigen Melodie zu zappeln. Kein Meisterwerk, aber es tut nicht weh. Ein durchaus passabler Song, insbesondere die Lyrics sind interessant. Von seinem Nachfolger „Four Walls“ erwarte ich so einiges und er enttäuscht mich tatsächlich kein Stück. Sowohl Text, als auch erschaffene Stimmung greifen sanft nach meinem Inneren, nach dem Teil, der verantwortlich ist für das, was ich das Ziehen nenne. Ein Gefühl, das für mich herausragende Musik von guter trennt. Das Lied mit seinen pulsierenden R&B Einflüssen ist perfekt für melancholische Stunden und schließt mit einer gänzlich untypischen Blues-Gitarre. Im Anschluss folgt mit „Blame“ wiederum ein altes Neues. Der Cut ist ziemlich heftig, doch Herr Smith hat bekanntermaßen etwas gegen Fadeouts. Die Studioversion ist tatsächlich sehr gut und ich sehe die vier Briten förmlich zum rauen Gitarrensound auf der Bühne ihr Bestes geben. Kaum ein Lied hat mich jedoch so berührt und erfüllt, wie „Fake It“. Und auch dieses läuft seit Wochen in meiner Playlist hoch und runter. Drückt sich doch der brummende Bass nur allzu gut in die Brust, lässt das hohe „oooh“ doch nur allzu gern von Freiheit träumen, während der Text einen an Vergangenes bindet. Eine Gänsehaut jagt die nächste, als mein Körper sich an das Gefühl des ersten Hörens erinnert. Mit „Snakes“ schreiben Bastille ein weiteres Kapitel in meinem Buch der besten Live-Lieder. Das treibende Tempo ist einfach für die Bühne gemacht und das eingespielte Filmzitat drückt perfekt aus, welche Gedanken einem beim Anblick auf dem Dockville durch den Kopf geschossen sind „Come on, boys. Let’s go tear this place apart!“. Etwas nachdenklicher geht es wiederum in „Winter Of Our Youth“ zu, was mich auf den ersten Blick nicht übermäßig einfängt, aber auch nicht negativ auffällt. Wahrscheinlich ist es eins der Stücke, das einen erst später erreicht, wenn man die Platte schon diverse Male hat auf sich wirken lassen. Mit „Way Beyond“ erwartet den Hörer ein gewagter Mix aus Funk, Soul und Pop. Ich vermute der Urschrei entrinnt der Kehle von Rag’n’Bone Man, der schon einmal mit den Jungs zusammen gearbeitet hat und dem Anfang einen Hauch raue Seele verleiht. Auch hier hört man eindeutig Bastille aus jeder Note und es entwickelt sich doch recht schnell zu einem gängigen Muster. „Oil On Water“ dagegen wirkt nahezu sphärisch und fliegt gediegen dahin, gleitet langsam unter die Haut und zeigt sich so als selbsterfüllende Prophezeiung. Einen schon fast an Dancehall oder Reggae erinnernden Rhythmus bringt das bereits vor Äonen live präsentierte „Campus“. Es lässt einen augenblicklich die Hüften kreisen, hätte meiner Meinung nach aber nicht zwingend auf das Album gemusst. Von Veränderung und dass diese nicht immer nur positiv ist, erzählt anschließend „Shame“ und trifft damit bei mir einen Nerv. Musikalisch ist es nicht aufregend, muss ich gestehen, aber die Geschichte über sich wandelnde Freundschaften ist so aktuell und präsent wie eh und je. „The Anchor“ lässt meine Haut Wellen schlagen und bildet den krönenden Abschluss einer aufregenden Reise. Auch hier finden sich Big Band Motive, die einen mitreißen und begeistern und dennoch wirkt der Song stellenweise so zerbrechlich und verletzlich, wie sein Schöpfer. Anker geworfen haben auch Bastille – in meinem Herzen, in meinen Gedanken.

Es war ein hartes Stück Arbeit und auch wenn nicht ausnahmslos jeder Song meinen Geschmack zur Gänze trifft, ist es doch ein großartiges Album. Zwei Jahre sind nicht wirklich viel, wenn man bedenkt, dass die Briten pausenlos durch die Welt jetten und uns hier nun ganze 19 Lieder präsentieren, neben all ihren Mixtapes und Covern. Ich neige mein Haupt ein weiteres Mal und freue mich auf die nächsten Stunden, Tage und Wochen mit diesem würdigen Nachfolger ihres Debüts „Bad Blood“. Bestimmt erkunde ich auch noch die Stärken, der aktuell im Vergleich eher schwächeren Songs und Wild World muss sich keinesfalls verstecken. Es ist ein schnelleres, ein kraftvolleres Album als sein Vorgänger, auch wenn die Inhalte vor Selbstzweifeln und Melancholie nur so strotzen. Ein kritischer Fan würde vielleicht die tiefgründigen Balladen vermissen, würde alles als einen Tick zu überproduziert empfinden, zu komplex in der Ausführung, zu schwach im Inhalt. Doch wie ich bereits sagte: es ist ein Sommeralbum. Gerade die zweite ist die schwerste Platte, der Scheideweg zwischen kurzweiligen Musikern und Künstlern. Bastille haben ihre Sache ziemlich gut gemacht und bleiben uns somit glücklicherweise auch zukünftig erhalten.

M.F.

Tracklist:

Good Grief

The Currents

An Act Of Kindness

Warmth

Glory

Power

Two Evils

Send Them Off!

Lethargy

Four Walls

Blame

Fake It

Snakes

Winter Of Our Youth

Way Beyond

Oil On Water

Campus

Shame

The Anchor

 

 

Bastille – Wild World

Virgin Records, Universal, VÖ 09.09.2016

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