Cardinal Sessions Festival 2016

Schon ein paar Konzerte haben mich in das Molotow auf der Reeperbahn gezogen und heute Abend mache ich mich auf um das Cardinal Sessions Festival zu besuchen. Es ist ein regnerischer Tag hier in Hamburg und ich bin froh, dass es heute Abend ein Club Festival ist. Bei meinem kleinen Vorbericht habe ich die Bands ja schon ein wenig vorgestellt und bin heute sehr gespannt, was mich erwarten wird. Kurz nach Einlass bin ich im Molotow angekommen und es haben noch nicht alle Festivalgäste ihren Weg auf die Reeperbahn gefunden. Die Zeit nutze ich, um nochmal den Timetable zu checken, der im Club aushängt und zu erkunden, wo sich der Karate Keller befindet, denn dort war ich bis jetzt noch nicht. Ich bin immer wieder fasziniert von diesem kleinen Laden, der wohl mal ein Asia Restaurant war der  Decke nach zu urteilen, die nun mit alten Schallplatten verziert ist. Die kleine Tafel mit all den Bands, die dort schon aufgetreten sind, lese ich mir jedes Mal wieder durch und bin ein wenig melancholisch, dass ich viele von ihnen nie in so einem kleinen und kuscheligen Club wie dem Molotow sehen werde. Der Merch Stand steht an seinem gewohnten Platz und ich nehme mir vor ihm nach den Konzerten einen Besuch abzustatten. „My Number“ von Foals schwirrt aus den Lautsprecherboxen und versüßt mir das Warten auf die erste Band – das kann ja nur ein toller Abend werden.

Der Club füllt sich langsam, als Phoria die Bühne betreten. Ohne große Worte beginnen die fünf Briten ihr Set. Noch sind die Gäste ein wenig schüchtern und es bewegen sich nur ein paar Köpfe, aber je mehr Leute eintrudeln desto besser wird die Stimmung. So schüchtern und sanft wie der Sänger wirkt, ist auch die Stimme, die er ins Mikrofon haucht. Doch schon zeigen sie beim zweiten Wunderwerk, was in ihnen steckt. Leicht schwerelos fühlt man sich, wenn man der zarten Stimme lauscht und die elektronischen Rhythmen in sich aufnimmt. Langsam bewegen sich auch die ersten Zuhörer und auch ich kann nicht anders, als leicht hin und her zu wippen. Geigen kommen zum Einsatz, obwohl keine auf der Bühne sind – ein Hoch auf die Technik – und trotzdem verleiht es der Stimmung einen einzigartigen Zauber. Mit einem schüchternen Lächeln wird sich für den kräftigen und wohlverdienten Applaus bedankt und wir werden prompt mit weiteren Melodien belohnt. Vom Gefühl her, würde ich sie wie ein Spaziergang im nassen Gras bezeichnen; barfuß und leicht wie eine Wolke. Ihr Set endet mit einem gewaltigen gitarrenlastigen Stück, das einen geradewegs aus der Trance holt und in das Hier und Jetzt katapultiert. Ihre Zeit auf der Bühne geht viel zu schnell vorbei, aber wenn sie mal wieder nach Hamburg kommen bin ich auf jeden Fall dabei – am besten barfuß auf einer Sommerwiese.

Schnell eile ich runter in den Karate Keller, wo auch schon Ätna ihren Song „Walls“ zum Besten geben. Als ich ihn das erste mal auf YouTube gehört habe, wusste ich noch nicht recht, was ich von ihnen halten soll, aber hier in dem kleinen Keller unter Lichterketten und in der Clubatmosphäre mausern sie sich schnell zu meiner persönlichen Neuentdeckung des Abends. Der Sound der beiden ist verrückt und auf jeden Fall außergewöhnlich. Mit Keyboard, Schlagzeug und Stimmenverzerren bringen sie die Gäste zum Tanzen und Feiern. Ich staune nicht schlecht, als zur Unterstreichung eines Songs, eine irgendwie gruselig wirkende Puppenspieluhr hinzugezogen wird – also an Einfallsreichtum fehlt es den beiden jedenfalls nicht. Textlich müsste ich mich nochmal in Ruhe mit ihren Songs befassen, viel zu sehr war ich fasziniert von den coolen Beats, die perfekt auf die Reeperbahn und ihr vielseitiges Nachtleben passen. „Shut Your Mouth“ hat so einen ungemein tanzbaren Sound, welcher sofort vom Kopf in die Beine geht und ich erkläre es prompt zu meinem Lieblingslied des heutigen Abends. Ich bin gespannt auf die EP und das hoffentlich kommende Album.

Und schon geht’s wieder hoch in den Club, um Faber zu lauschen. Für mich bis dahin nur durch die Recherche vorab geläufig, wird jedoch schnell klar: Der junge Mann ist hier durchaus bekannt. Tosender Applaus wird den beiden Musikern geboten, als sie die Bühne betreten, mehr als nur einen Wuschelkopf erkennt man vorerst nicht von dem Schweizer, aber bei dieser rauchigen Stimme, die einem entgegen feuert ist das erst einmal nebensächlich. Mit Posaune, Schlagzeug und Gitarre stehen die beiden auf der Bühne und geben gleich von Anfang an mächtig Gas. Wer meint deutschsprachige Musik sei langweilig und ohne Pepp, sollte sich Faber unbedingt zu Gemüte führen. Mit witzigen Sprüchen und ganz viel Charme verzaubern sie den Rest der Masse, die sie bis dato vielleicht noch nicht richtig kannten, wie mich zum Beispiel. Noch immer lache ich über den „David Guetta Effekt“ und nein, das Lied war nicht scheiße. Ziemlich tanzbar, wie all die Lieder, die durch die ungewöhnliche Posaune einen unglaublich coolen Groove in den Club bringen. Selbst von einer gesprungenen Saite lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen und überspielen die Wartezeit mit einer äußerst lässigen Posauneneinlage. Viele der Gäste sind textsicher und singen die Refrains gekonnt mit. Verpackt in schwungvolle Melodien, kommen ironische und kritische Texte zum Vorschein, die man von so einem jungen Musiker vielleicht nicht erwartet hätte. Fernab vom lustigen Konzertabend sollte man sich die wortgewandten Texte noch einmal genauer anhören, denn in ihnen steckt mehr, als man in der heutigen Zeit der seichten Popmusik vielleicht gewohnt ist. „So Soll Es Sein“ schwirrt mir noch immer im Kopf herum und erinnert mich stets an diesen tollen Auftritt.

„My name is Pomme, I think it means Apfel in Germany“. Mit Gitarre und sichtlicher Freude an der Musik bringt die junge Französin ein Stück Paris in das Molotow. Auch wenn ihr Name zuckersüß klingt, geht es in ihren Texten um Liebeskummer und die Sorgen des Alltags. Hätte ich damals im Französisch-Unterricht besser aufgepasst könnte ich jetzt mehr verstehen, aber so lausche ich einfach der Stimme und lasse die Musik für sich sprechen. Unterstrichen von einer Autoharp gibt sie „Umbrella“ von Rihanna in ihrer ganz eigenen Version zum Besten und hat es meiner Meinung besser interpretiert als es die Schöpferin selbst je könnte – einfach mit viel mehr Herz.  „The next song is made for you to be really happy and to clap your hands, you need to enjoy it because it’s the only occasion you have in my set“ und so ist es dann auch. Wo vorher andächtig zugehört wurde, wird nun geklatscht und geschunkelt. Wenn man Pomme so auf der Bühne sieht, fröhlich und gut gelaunt, glaubt man gar nicht, dass so viel Melancholie in ihren Texten mitschwingt. Aber vielleicht ist es gerade das, was sie so sympathisch macht.

Letztes Jahr hatte ich sie als spontan eingesprungene Vorband von Maximo Park erleben dürfen und war hellauf begeistert. Nachdem ich sie auf ihrer diesjährigen Tour leider nicht sehen konnte, freue ich mich natürlich nun umso mehr sie nun noch einmal live erleben zu dürfen. Die Rede ist von den Leoniden. Vom Kater der gestrigen Cardinal Sessions in Köln merkt man absolut nichts, denn von Beginn an wird auf der Bühne wie wild gesprungen, getanzt und gesungen. Die fünf Jungs aus Hamburg und Kiel haben ihren eigenen Stil offensichtlich schon gefunden und schmettern einen Knallersong nach dem anderen. Ich war damals doch ziemlich überrascht, dass sie aus Deutschland kommen, da sie so anders klingen als das, was man sonst so kennt. Aber wie auch Ätna mir gezeigt haben, sollte man die deutsche Musikszene nicht unterschätzen. Es wird auf Kuhglocken eingedroschen, in Keyboard-Tasten gehauen und die Drum Sticks geschwungen. Dazu noch rockige Gitarrensounds und die eingängige Stimme des Sängers Jakob – die Jungs bieten einfach alles, um Spaß zu haben und mit zu tanzen, man kann gar nicht anders. Das Publikum ist angesteckt von der ausgelassenen Stimmung, die auf der Bühne herrscht und alles hüpft und springt zu der bunten Mischung aus Rock und Elektro. Ihre EP „Two Peace Signs“ sowie Songs der ersten EP werden gespielt und lassen gespannt sein auf das bald folgende Album, denn sie sind im Studio und arbeiten an neuen Krachern. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt und das Molotow wird einmal mehr von ihnen gerockt. Am 8. Dezember spielen sie beim „Festival Für Junge Menschen“ im Übel & Gefährlich. Wer sie noch nicht kennt oder sie wieder live sehen möchte, sollte sich ihre Performance dort unbedingt anschauen.

Der Karate Keller ist voll bis unter die Decke, als ich mir meinen Weg zu den Flyying Colours bahne. Nachdem die vorherigen Bands sehr erzählfreudig und aufgeschlossen waren, wirken die Australier doch ziemlich wortkarg, was der Stimmung aber keinen Abbruch tut. Mit schweren Gitarrenriffs und sanfter Stimme bilden sie den Abschluss dieses Festivalabends. Vielleicht liegt es daran, dass ich schon ein wenig müde bin, aber leider hauen sie mich nicht so um, wie die vorherigen Bands. Trotzdem genieße ich die Atmosphäre und schaue den anderen Gästen zu wie sie freudig zu den Melodien der vier Musiker tanzen.

Auf dem Weg zum Ausgang sehe ich, dass der Merch Stand leider schon abgebaut ist – doch kein Leoniden Beutel voller EPs. Schade, aber beim nächsten Mal werde ich mich einfach eher mit ganz viel neuer Musik eindecken. Es regnet, als ich über die Reeperbahn zur Bahn schlendere und den Abend gedanklich noch einmal Revue passieren lasse. Wegen der Leoniden gekommen und mit noch mehr neuer Musik im Kopf gegangen. Was für ein gelungener Abend. Vielen Dank an dieser Stelle an das Cardinal Sessions – und das Molotow-Team für die fantastische Zeit voller neuer, aufregender Musik. Die Auswahl der Künstler war ausgewogen und es war für jeden Geschmack etwas dabei. Es ist immer wieder schön neue Bands kennen zu lernen, die man vielleicht sonst nicht entdeckt hätte oder erst, wenn sie groß und berühmt sind. Das Molotow ist immer wieder einen Besuch wert und ich freue mich auf all die weiteren Abende, die ich in diesem tollen Club verbringen werde. Bis zum nächsten Mal und bis bald!

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J.S.

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