Rag’n’Bone Man – Indra Musikclub, Hamburg

 

 

 

 

„Cause it was almost love, it was almost love

It was almost love, it was almost love…“

 

 

 

 

 

 

Oh, du schöne Winterzeit! Es ist noch früh, als ich mich auf den Weg zur Reeperbahn mache, aber da die Weihnachtsmarktsaison begonnen hat, habe ich beschlossen noch einen kleinen Gang über den Santa Pauli zu wagen. Der Schmalzgebäck-Stand ist schnell gefunden und ein paar Minuten später habe ich schon Puderzucker im Schal hängen. Es wird mir jedoch ziemlich schnell zu voll und so mache ich mich bald auf den Weg zum eigentlichen Ziel meiner Reise: dem Indra Musikclub. Da der Grünspan und das Indra sehr nah nebeneinander liegen, hätte ich mich beinahe an der falschen Schlange angestellt – zum Glück habe ich jemanden an meiner Seite, der sich besser auskennt. Das bevorstehende Konzert von Rag’n’Bone Man zieht mehr ältere Besucher an, als ich dachte, was auf einen entspannten Abend hoffen lässt. Die ersten Sitzplätze sind bereits vergeben, jedoch finden wir schnell einen Platz direkt neben der Bühne. Der Club ist genauso klein und kuschelig, wie ich ihn vom Reeperbahn Festival in Erinnerung hatte. Nur warum die Nebelmaschine ohne Ende läuft, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Auf der kleinen mit Lichterketten geschmückten Terrasse, kann man glücklicherweise schnell noch einmal Luft holen, bevor es los geht.

Die Müdigkeit des Wochenendes steckt mir noch in den Gliedern und der Ausblick auf wenig Schlaf verringert anfänglich meine Lust auf eine Vorband. Im Nachhinein hingegen bin ich froh, dass jemand wie Jade Bird das Konzert mit so viel guter Laune einleitet. Ganz in schwarz und mit ihrer Gitarre bewaffnet betritt die auf Anhieb sympathisch wirkende Dame die Bühne. Ein bisschen Folk, ein bisschen Country, ein bisschen Herzschmerz und ganz viel Stimme stecken in der jungen Engländerin. Zwischen den Liedern erzählt sie kleine Anekdoten; beteuert mehrfach, dass das nächste Lied das einzig Traurige sein wird und ich verzeihe ihr gern, dass es doch zwei oder drei mehr sind. Aber es gibt auch eins zum mit klatschen, wirklich! Ihre gute Laune ist so ansteckend, dass man sofort vergisst, dass morgen schon wieder Montag ist. In ihrem Set wechseln sich herzerwärmende Balladen mit tanzbaren Songs ab – für jeden ist also etwas dabei. Erfüllt von einem wohligen Gefühl, hoffe ich, dass die junge und talentierte Musikerin bald mehr von Ihrer fröhlich frischen Musik veröffentlicht und auf eine eigene Tour kommt. Die Tanzschuhe dann aber nicht vergessen, bitte!

Ein paar Jahre zuvor war ich bei einer Show der britischen Band Bastille in London. Im Schlepptau hatten sie damals die Rapperin Angel Haze und, genau: Rag’n’Bone Man. Wie es leider nun mal so ist, freut man sich natürlich mehr auf den Haupt-Act, als auf alles andere und weiß die oftmals guten Vorbands gar nicht zu schätzen. Aber heute Abend wird er der Mittelpunkt sein und es ist schön ihn in so einem kleinen und intimen Club zu sehen, anders als in der riesigen Halle des Alexandra Palace. Wo vorher noch Gemurmel und Gelächter schallte, verstummt es, als der Mann mit der außergewöhnlichen Stimme die winzige Bühne betritt. Trotz seiner beachtlichen Größe wirkt er fast schüchtern, als er die Gäste im Indra begrüßt. Ein Eindruck, den ich so keinesfalls erwartet habe. Es wird nicht lang gefackelt: mit ‚Reuben’s Train‘ haut der Brite mich gleich vom Hocker. Keine Schnörkel, kein Nippes – nur die kraftvolle Stimme des Sängers, die augenblicklich jede Aufmerksamkeit bannt. Der Anfang ist geschafft und nun wirkt auch Rag’n’Bone Man (mit bürgerlichem Namen Rory Graham) entspannt und ganz in seinem Element.

Ein Lied über einen Serienmörder gefällig? Aber bitte, gern! Mit ‚Lay My Body Down‘ ist dem Briten erneut ein unglaublicher Song gelungen. Die dunklen und kraftvollen Elemente verleihen dem Lied ein gewisses Film-/Musical-Feeling. Ob uns auch so warm ist wie ihm, fragt er anschließend. Und ob! Der kleine Club kocht und obwohl weder Partyhymnen, noch wilde Pogo-Songs gespielt werden, ist die Stimmung so wunderbar ausgelassen, wie es an einem Sonntagabend besser nicht sein könnte. Immer wieder bin ich begeistert vom tobenden Applaus, der der Band nach jedem einzelnen Song geboten wird und hoffe, das lässt sie nur halb erahnen, wie viel Freude sie dem Publikum in dieser kalten Hamburger Winternacht bringen. Nach überwundener Schüchternheit animiert uns Mr. Graham nun zwischen den Songs immer wieder zum Lachen. Ich finde, es hat immer so etwas Angenehmes, wenn der Künstler etwas zu seinen Werken erzählt, Witzchen reißt und man das Gefühl hat, er fühlt sich genauso wohl in dem kleinen Raum, wie man selbst. Und das ist heute Abend wirklich der Fall. Zum Beispiel heißt ab jetzt jeder der letzten Songs ‚Towel‘, weil Mr. Graham’s Handtuch auf die Setlist gefallen ist und er nur noch eben jenes sieht. Wie gut, dass er die Reihenfolge auch so drauf hat.

Mit ‚Skin‘ hören wir seine neue Single, die mindestens genauso schön ist, wie ‚Human‘. Bleibt zu hoffen, dass sie ein ebenso großer Erfolg wird, gegönnt sei es ihm. Wie in einem Tagebuch über vergangene Ereignisse wird man von Rory Graham auf eine Reise mitgenommen. ‚Life In Her Yet‘ hat es mir besonders angetan. Welch eine kraftvolle Ballade, die einem da entgegenweht. Bei jedem Lied schwingt so unglaublich viel Gefühl mit, als würde er gerade eine Geschichte erzählen, die ihm besonders am Herzen liegt. Wer nichtssagende Texte und simple Zeilen mag, bei denen man nicht nachdenken muss, was der Künstler denn damit sagen will, ist hier an der falschen Adresse. Oft genug fragt man sich vor einem Konzert, ob der Künstler live genauso gut singen kann, wie es auf der Platte den Anschein hat. Mr. Rag’n’Bone Man kann es, wenn nicht sogar noch besser. Der Anfang von ‚Human‘ ertönt und auch wenn mich unter anderem gerade dieser Song dazu bewegt hat, mich an diesem Abend hier einzufinden, habe ich doch etliche Stücke in seinem Set gefunden, die dem in keinster Weise nachstehen. Das hält mich aber natürlich nicht davon ab nun voller Euphorie mitzusingen. Was für ein beeindruckendes Lied und so live erlebt geht es noch viel mehr unter die Haut. Wo wir gerade von Gänsehaut sprechen: wenn man denkt, es könnte nicht mehr besser werden, kommt Mr. Graham so mir nichts, dir nichts mit einem a capella-Song daher und begeistert die Gäste im Indra noch einmal aufs Neue. Da der Laden so klein und alles so entspannt ist, macht es umso mehr Spaß sich einfach mal das Publikum anzuschauen und die pure Freude in den Gesichtern der Anwesenden zu sehen. Gefühlt ist jedes Alter vertreten und jeder wippt, tanzt und singt mit. Mit einem ‚Can I get a >hell yeah<?‘ heizt der Stimmriese die Masse ein letztes Mal an. Der Rausschmeißer wird angespielt und ich werde traurig. Schon wieder ist ein tolles Konzert viel zu schnell vorbei. Umso besser, dass der junge charismatische Mann uns im April schon wieder in Hamburg beehren wird. Wer ein unglaubliches Talent auf der Bühne sehen will, sollte das keinesfalls verpassen. Seine witzige und sympathische Art macht das Konzert zu einem wunderschönen Event. Die einzigartige Stimme und die dazugehörige Gänsehaut wird man so schnell jedenfalls nicht vergessen. Danke für den tollen Abend.

 

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J.S.

Setlist:

  1. REUBEN’S TRAIN
  2. WOLVES
  3. EGO
  4. YOUR WAY OR THE ROPE
  5. THE FIRE
  6. DISFIGURED
  7. LAY MY BODY DOWN
  8. SKIN
  9. GRACE
  10. LIFE IN HER YET
  11. AS YOU ARE
  12. BE THE MAN
  13. GUILTY
  14. HUMAN
  15. ACAPELLA

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  1. BITTER END
  2. HELL YEAH

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