Everybody catching up to get me
Grab for what they think they get free
Everybody catching up to get me
Gotta shift up for maximum speed
(Ready, set, go)
Run!
Hamburg: kalt, nass, grau. Die ungemütliche Zeit hat wieder begonnen und was liegt da näher, als sich mit hunderten anderer Menschen in einen kuscheligen, winzigen, warmen Raum zurückzuziehen und den sanften Klängen erlesener Musik zu lauschen? Ja, vielleicht ist der Raum ein Club und der nur ein Bretterverschlag und ja, vielleicht riecht er etwas nach Urin und ja, vielleicht ist es auch brüllend laut, man schwitzt wie Sau, Menschen neben einem haben nie enden wollende Blähungen und rempeln einen permanent an. ABER: so what?! Immer noch besser, als draußen diesem Dreckswetter ausgesetzt zu sein. Und die Pros an diesem Abend überwiegen glasklar – es gibt drei Bands umme Ohren (Normandie aus Schweden, Blood Youth aus UK und den Headliner Crossfaith aus dem fernen Japan), der Soundtechniker ist ein echtes Ass, die Beleuchtung ein Traum für jeden Fotografen und eigentlich ist das Logo in Hamburg ein echter Wohlfühl-Schuppen. Ich bin froh, dass ich aufgrund der geführten Interviews schon eher ins Warme komme und suche mir ein Plätzchen zum Sitzen (weil ich alt bin) und mit direktem Blick auf die Bühne (weil ich Erste bin). Meine Begleitung hält mir brav den vermeintlichen Luxusplatz frei, während ich noch schnell zum Interview mit Crossfaith im Tourbus flitze und als ich durch die Backstage-Tür wieder den Raum betrete, ist dieser bereits überfüllt mit schwarz gekleideten Menschen aller Altersklassen. Schön gemischt, von „darfst du hier schon rein?“ bis „wow, willst du meinen Sitzplatz?“ ist alles dabei und es gibt noch nicht mal, wie sonst auf Metal-Konzerten üblich einen horrenden Testosteron-Überschuss.
Kaum hab ich mich durch die massiven Leiber der Wartenden gewühlt, eröffnen Normandie auch schon den Abend. Auch wenn der Sänger ein bisschen so aussieht, wie Justin Timberlake zu *NSYNC-Zeiten und ich mir sicher bin, dass der Norweger dePRESNO das gleiche Hemd trägt (muss so ein skandinavisches Ding sein), sind die Jungs nicht von schlechten Eltern. Ein bisschen Mädchen-Metal im Vergleich zu dem, was noch kommt, aber wenigstens wirklich guter! Fall Out Boy schießen mir spontan durch den Kopf, als Sänger Philip Strand mit seiner gut ausgebildeten, leicht kratzigen hohen Stimme den Massen einheizt. Als Support sind sie definitiv richtig hier und bringen die Menge schon früh in Bewegung.
Als zweiter Support des Abends betritt nach kurzer Umbau-Pause Blood Youth aus dem schönen Leeds die Bühne und legt gleich so richtig los. Eine ganz andere Art des Hardcore brüllt uns jetzt von da vorn entgegen. Ihre Bewunderung für Slipknot ist deutlich herauszuhören, aber auch HipHop/Punk-Einflüsse sind Teil ihres Repertoires. Mit ihren Lyrics über Obdachlosigkeit, Trennungen und Alkoholmissbrauch schlagen sie auch textlich in eine andere Kerbe und Wut, Enttäuschung und Hilflosigkeit brechen in einem kreischenden Sturm der Gefühle über uns herein. Die Menge tobt und es ist klar: wer bisher noch nicht angeheizt war, wird es jetzt. Und zwar so richtig. Circle Pit, Wall of Death, Crowdsurfing – eben das ganze Programm. Und das schon bei der fucking Vorband! Das muss man halt auch erst mal schaffen. Hut ab für so viel Energie und Bühnenerfahrung, diese Jungs sind auf jeden Fall einen Konzertbesuch wert!
Doch auch die zweite Runde ist ziemlich schnell vorbei und nun beginnt das lange Warten. Tatsächlich ganze 45 Minuten lang heizt sich das Publikum verzweifelt selbst ein, um die Lust nicht zu verlieren und als ich schon fast die Schnauze voll habe, passiert es: das Licht geht aus und das Intro von „Deus Ex Machina“ startet. Blaues Licht wabert durch den stickigen Raum, der trancige Jumpstyle-Beat bringt alle in Sekunden von null auf hundert und mit dem Satz „Catastrophe has come to life!“ stürmen die Jungs von Crossfaith auf die Bühne. Im Bruchteil eines Moments verwandelt sich das Logo zu einem energiegeladenen Haufen Arme und Köpfe, der unkontrolliert die Wände zum Einsturz bringen könnte. Wie ich es erwartet hatte, bricht bei „Catastrophe“ buchstäblich die Hölle los und sowohl auf als auch vor der Bühne geben alle 110%. Sänger Ken hat die Masse fest im Griff und dirigiert gekonnt den auf und ab springenden Pulk. Adrenalin schießt durch meine Adern und mit jeder gespielten Note fühlt es sich mehr an, als würde ich gleich überlaufen vor Spaß und positiver Aggression (wer letzteres nicht kennt, war wohl noch nie auf einem Metal-Konzert). Bei „Destroy“ gibt es überraschenderweise einen interaktiven Part, den man auch schon bei etlichen Bands anderer Genres erlebt hat – alle hocken sich hin und auf los geht’s los. Hätte ich hier nicht erwartet, aber so wird wenigstens für einen kurzen Augenblick mal die Sicht auf die Bühne frei. Die Jungs von Crossfaith haben kleine Podeste vor sich, um die Menschenmenge überblicken zu können und für jeden zumindest einigermaßen sichtbar zu sein. Allerdings ist dadurch auch die Decke verdammt nah, von der bereits kondensierter Schweiß tropft und deren tief hängende Installationen Keyboarder Teru beim Sprung in die Fans beinahe zum Verhängnis werden. Er lässt es sich nicht anmerken, aber ich bin mir sicher, es hat ordentlich gescheppert, als sein Kopf den Scheinwerfer touchierte. Aber wenn Drummer Tatsu heute schon verletzungsbedingt nur einhändig spielt und immer noch abliefert, als gäb’s kein Morgen, dann ist so eine mickrige Gehirnerschütterung ja auch pillepalle.
Natürlich darf auch ihr Hit „Jägerbomb“ nicht fehlen, wir sind hier schließlich in der Heimat des Getränks mit dem markanten Hirsch-Logo und nicht nur die Band feiert den Schnaps derart leidenschaftlich. Ich habe bereits etliche der Umstehenden mit Gläsern der braunen Kräuterbrühe erspäht. Mit „Make A Move“ geben die Jungs aus Osaka einen weiteren Knaller zum Besten. Das Musikvideo der Single erwacht zum Leben und hatte ich vorher nur das Gefühl bei diesem Meisterwerk der Filmkunst durch die unglaubliche Dynamik und Energie eingesaugt und wieder ausgespuckt zu werden, so ist dies nun Realität. Auch bei Crossfaith dürfen Circle Pits, Pogo und Wall of Death natürlich nicht fehlen, umso unverständlicher ist es mir, dass ich Leute um mich herum sehe, die wie ein Fels in der Brandung regungslos zur Bühne starren. Wie geht das? Ernsthaft, entweder ihr bewegt euch so schnell, dass es das menschliche Auge nicht mehr wahrnimmt oder ich hoffe, dass wenigstens in eurem Inneren die Bestie tobt. Ich jedenfalls kann keine Sekunde stillstehen und eine Woge tiefer Zufriedenheit überrollt mich. Es war eine gute Entscheidung hier her zu kommen. Auch mit drei Baustellen auf der Autobahn, einer Parkplatzsuche aus der Hölle und der bitteren Aussicht in ein paar Stündchen mit viel zu wenig Schlaf wieder arbeiten gehen zu müssen. Es ist IMMER eine gute Idee zu Crossfaith zu gehen. Sie sind es einfach wert. Punkt. Umso niedergeschlagener bin ich beim Blick auf die Uhr, der mir unmissverständlich klar macht: „Zugabe? Gibbet für dich nich.“ Und so verlasse ich das Logo wehmütig vor der Zeit, jedoch geflasht von den vielen atemberaubenden Eindrücken, einem unglaublichen Glücksgefühl und der Gewissheit, dass ich egal wann und egal wo wieder dabei sein werde, wenn es die fünf Japaner erneut nach Deutschland verschlägt. Was hoffentlich bald ist. Also so am besten… morgen.
M.F.
Setlist:Deus Ex Machina
Catastrophe
Destroy
Freedom
Jägerbomb
Wildfire
Make A Move
Inside The Flames
Daybreak
Into The Nightmare
The Perfect Nightmare
Monolith