You think you‘re big time? You gonna fuckin‘ die big time! You ready? Here comes the pain!
Warum sind die meisten Konzerte eigentlich mitten in der Woche und dann auch noch in richtig stressigen Wochen UND bei schlechtem Wetter? Es ist wieder einer dieser Tage, an denen man am liebsten zuhause bleiben möchte, unter der Decke, mit Tee. Doch die kleine (kluge) Stimme in meinem Köpfchen zwingt mich ins Auto zu steigen und ins LUX zu fahren. Immerhin habe ich diese Band in meiner Jugend extrem gefeiert und nun schon zweimal innerhalb von zwei Jahren verpasst. Das geht so nicht, da muss man auch mal den schlaffen Hintern aus dem Sessel zerren und mit ein bisschen weniger Schlaf auskommen. Die Band, die heute Abend im kuscheligsten Club Hannovers vor mir stehen wird, nennt sich Farmer Boys. Schon mal gehört? Nein? Na dann wird’s aber mal Zeit! Immerhin gibt es diese Truppe jetzt schon seit schlappen 24 Jahren und sie waren bereits mit Größen wie Rammstein, Deftones und Metallica auf Tour. Wer sie kennt weiß, dass die Stuttgarter Jungs die 90er und 2000er über in jedem guten Rock-Schuppen liefen und ist – wie ich – schon mit 16 auf Songs wie „Here Comes The Pain“ abgegangen. Nun, 18 Lenzen später, stehe ich vor der Venue und erwarte prall gefüllte Hallen, denn immerhin hat diese Band doch den Alternative-Metal in Deutschland nachhaltig mitgeprägt. Doch Pustekuchen. Lediglich rund 50 treue Anhänger haben sich heute eingefunden, um mit den alten Klassikern eine Zeitreise in ihre Jugend zu unternehmen. Ein ziemlich maues Ergebnis und es tut mir ehrlich gesagt, auch in der Seele leid. Aber ich hoffe, dass es die Farmer Boys ebenso wenig beeindruckt wie mich und wir trotzdem einen schönen Abend miteinander verbringen werden – wenn auch in familiär-intimer Runde.
Über die Platzsuche muss ich an dieser Stelle ja nichts mehr sagen… im LUX steht, wenn man’s genau nimmt, eigentlich sowieso jeder vorne. Eine Vorband gibt es heute leider nicht und so wird das Warten lang, erst recht, da sich die Stuttgarter reichlich Zeit lassen und mit 20-30 Minuten Verspätung auf die sehnsüchtig ausharrenden Gäste treffen. Der erste Eindruck belustigt mich ein wenig, fand ich doch Sänger Matthias Sayer früher schon ziemlich heiß mit seiner gelb-blonden Stachelfrisur, seinen Tattoos und Piercings und dem drakonisch ernsten Blick. Doch die Zeit macht auch vor Schönheit nicht Halt und so ist es heute eher das Wohlstandsbäuchlein, das meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sympathisch sieht er dennoch aus, wie er da zwischen all den Metallern auf der winzigen Bühne steht und sich sichtlich auch über die wenigen Zuhörer freut. Und ganz ehrlich: scheiß auf Schönheit, wenn man nach all den Jahren immer noch so eine Stimme hat! Sie war schon immer besonders – weich und hoch und gleichzeitig überraschend kratzig – und das hat sich auch nicht geändert. Vielleicht ist sogar noch etwas mehr Geschmeidigkeit dazugekommen, was professionelle Unterstützung vermuten lässt. Hannover liebt die Jungs jedenfalls abgöttisch, denn die kleine Menge tobt und mosht zu Hits wie „End Of All Days“, „When Pigs Fly“ und „We Sow The Storm“. Ebenso gefeiert wie die Oldies werden jedoch auch die neueren und ganz aktuellen Songs, denn mit „Born Again“ haben die Farmer Boys ein hervorragendes neues Album auf den Markt gebracht. Wo andere Künstler eine stetige Veränderung anstreben, egal ob sie nun gut oder schlecht oder von irgendwem gewollt ist, bleiben sich die fünf Herren aus Baden-Württemberg treu. „Tears Of Joy“ ist so sehr Farmer Boys wie „Like Jesus Wept“, vielleicht etwas mehr Rock als Metal, aber wunderbar melodisch und ein echter Ohrwurm.
Und so singe ich lauthals altbekannte Zeilen und strahle vor Verzückung über diese fantastische Show. Keine Sekunde lang habe ich das Gefühl, dass nicht noch 500 weitere Fans hinter mir stehen, keine Sekunde lang bereue ich hier her gekommen zu sein. Nach 14 Jahren kreativer Schaffenspause sitzen zwar nicht mehr alle Texte so sicher und die Pausenfüller drehen sich um Hasenzucht statt um Alkohol und Frauen, aber sie geben wirklich alles. Sei es ein 5-minütiges Gitarrensolo von Gitarrist Alex Scholpp, das Drummer Timm Schreiner eigentlich nur eine kleine Verschnaufpause mit Kippe und Bier verschaffen soll, die gnadenlos perfekt gespielten Melodien, mit denen sich die Band drastisch von anderen abhebt oder die immer noch extrem lässigen Bewegungen von Bassist Ralf Botzenhart. Auch wenn ich tatsächlich kaum die Handykamera weglegen kann vor ungläubiger Begeisterung über die dargebotene Leistung, eine Sache muss ich in der Tat vehement bemängeln und fühle mich dadurch auch zutiefst beleidigt und von bitterer Trauer zerfressen: auf meinen absoluten Lieblingssong „While God Was Sleeping“ warte ich heute leider vergeblich. Bleibt nur der winzige Hoffnungsschimmer, dass die Band diesen Bericht liest und ihn beim nächsten Mal in Hannover für mich zum Besten gibt. Denn um eins muss ich nicht lange drum herumreden: Farmer Boys Konzert? Jederzeit und überall! Keine Diskussion!
Kleiner Funfact zum Abschluss: ein Blick auf die Setlist verrät viel über den Humor der Stuttgarter Band. Singen sie doch angeblich von der Hausarbeit des Gottessohns in „like jesus SWEPT“ und sehr tiernaher Landwirtschaft in „we sow the WORM“. Simpatico as fuck!
M.F.
Cosmos
Faint Lines
Fiery Skies
You & Me
The Other Side
End Of All Days
Like Jesus Wept
Where The Sun Never Shines
Isle Of The Dead
Mountains / Stars
When Pigs Fly
Farm Sweet Farm
Prized
Guitar Solo
Stay Like This Forever
Tears Of Joy
We Sow The Storm
Revolt
Here Comes The Pain
Born Again